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AutorenbildNievergelt & Stoehr

Stalking – Lösung für ungenügenden Opferschutz in Sicht?


In seiner letzten Sitzung hat sich die Rechtskommission des Ständerats unter anderem mit der gesetzlichen Regelung von Stalking befasst. Die Politik diskutiert bereits seit einigen Jahren, ob Nachstellungen mit einem eigens dafür geschaffenen Straftatbestand geahndet werden sollen. Der folgende Beitrag soll Ihnen einen Überblick über die aktuelle Rechtslage, deren Mängel und die geplanten Änderungen geben.


Stalking als zunehmendes Phänomen


Eine einheitliche Definition für Stalking gibt es nicht. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), das auch für die Schweiz rechtsverbindlich ist, definiert es wie folgt: Stalking (oder Nachstellung) ist «vorsätzliches Verhalten, das aus wiederholten Bedrohungen einer anderen Person besteht, die dazu führen, dass diese um ihre Sicherheit fürchtet» (Art. 34 Istanbul-Konvention). Es geht also um sich wiederholende Verhaltensweisen, die einzeln meist sozial adäquat erscheinen, in der Summe aber eine Person verängstigen können (z. B. ständige Telefonanrufe und «zufälliges» Treffen auf der Strasse, aber auch Essens- und Warenbestellungen im Namen und auf Rechnung des Opfers). Zu entscheiden, wann eine Mehrzahl von Handlungen die Grenze zu Stalking überschreitet, ist kein einfaches Unterfangen. Häufig wollen Täter mit den Nachstellungen entweder eine Liebesbeziehung zum Opfer erzwingen oder sich rächen. Stalking kann massive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit des Opfers haben und es dazu zwingen, seinen Lebensstil anzupassen (etwa indem gewisse Orte gemieden werden oder die Telefonnummer geändert wird).

 

Aktuelle Gesetzeslage mit hohen Anforderungen für Strafbarkeit


Diese Massnahmen können aber naturgemäss überschritten werden, gerade auch, da «nur» eine Busse droht. Es gibt daher auch strafrechtliche Möglichkeiten zur Ahndung von Stalking. Bei Anwendung von körperlicher Gewalt oder Freiheitsberaubung kommen etwa die Tatbestände der Tätlichkeit (Art. 126 StGB), der Körperverletzung (Art. 123 StGB) oder der Freiheitsberaubung/Entführung (Art. 183 StGB) infrage. Schwieriger aber ist die Einordnung und Bestrafung, wenn Handlungen vorliegen, die einzeln sozial adäquat erscheinen (wie erwähnt beispielsweise Anrufe oder Treffen), in ihrer grossen Anzahl aber das Opfer verängstigen können. In der Praxis werden in solchen Fällen die Drohung (Art. 180 StGB) und Nötigung (Art. 181 StGB) geprüft. Um den Tatbestand einer Drohung zu erfüllen, muss das Opfer durch schwere Drohung in Angst und Schrecken versetzt werden. Damit eine Nötigung angenommen werden kann, verlangt das Gesetz Gewalt, die Androhung ernstlicher Nachteile oder eine andere Beschränkung der Handlungsfähigkeit, damit das Opfer etwas tut, duldet oder unterlässt, dass es nicht wollte.[1] Beim Stalking ist gerade problematisch, dass die einzelnen Handlungen in der Regel keine schweren Drohungen sind. Ähnlich verhält es sich bei der Nötigung: Wegen des Grundsatzes «keine Strafe ohne Gesetz» muss die «andere Beschränkung der Handlungsfähigkeit» eng verstanden werden. Dennoch wurden auch unter der geltenden Gesetzeslage bereits Stalker verurteilt.[2] Die Gerichte sind aber streng: Für das Bundesgericht haben etwa 379 Telefonanrufe in einem Monat nicht ausgereicht, um den Nötigungstatbestand zu erfüllen.[3] Wichtig ist zu Beweiszwecken insbesondere eine genaue Dokumentation aller Stalking-Handlungen durch das Opfer.


Neuer Tatbestand soll präventiv und strafend wirken


Um für eine wirksamere Bestrafung von Stalking zu sorgen und überdies eine stärkere präventive Wirkung zu entfalten, befassen sich Parlament und Bundesrat bereits seit 2019 mit einer entsprechenden Ergänzung des Strafrechts. Die Räte planen die Einführung eines eigenen Tatbestands der «Nachstellung» (als neuen Art. 181b StGB) sowie entsprechender Bestimmungen im Militärstrafrecht. Der Nachstellung soll sich strafbar machen, wer jemanden beharrlich verfolgt, belästigt oder bedroht. Noch uneinig sind sich die Rechtskommission des Ständerats und der Nationalrat, ob das Delikt als Gefährdungs- oder Erfolgsdelikt ausgestaltet werden soll: Muss das Opfer durch das Stalking in seiner Lebensgestaltung eingeschränkt werden, oder reicht bereits das stalkende Verhalten selbst zur Strafbarkeit?

 

Bis zur Einführung des neuen Tatbestands werden wohl noch einige Jahre vergehen. Die Anwälte von Nievergelt & Stoehr stehen Ihnen bereits heute zur Verfügung, wenn Sie Fragen rund um das Thema Strafbarkeit von und Persönlichkeitsverletzung durch Stalking haben. Kontaktieren Sie uns über +41 81 851 09 10 oder info@nist-law.ch, wir helfen Ihnen gerne weiter.[4]




[1] Rechtswidrig ist eine Nötigung nur dann, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist oder wenn das Verhältnis zwischen dem angewendeten Mittel und dem zu erreichenden Zweck nicht richtig, rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 120 IV 17, 20).

[2] Vgl. z.B. BGE 141 IV 437 E. 3.2: Erforderlich ist, dass der Täter das Opfer vielfach und über längere Dauer belästigt, so dass mit der Zeit jede einzelne Handlung geeignet ist, die Handlungsfreiheit des Opfers derart einzuschränken, dass ihr eine mit Gewalt oder Drohung vergleichbare Zwangswirkung zukommt.

[3] Urteil des BGer v. 13. Juli 2007, 6B_320/2007 E. 4.2.

[4] Weiterführende Literatur zum Thema: Sven Zimmerlin, Stalking – Erscheinungsformen, Verbreitung, Rechtsschutz, Sicherheit und Recht 2011, S. 3 ff.; Aurelia Gurt, Stalking, Zürich 2020.




 

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